In der Theorie gibt es schöne Vorstellungen von Softwareentwicklungsprozessen, in der Praxis werden diese sehr abwechslungsreich gelebt.
Z.B. versteht unter einem Pflichtenheft jeder etwas anderes. In manchen Projekten gibt es ein Lastenheft und ein Pflichtenheft, in manchen nur eines davon, manchmal sind im Pflichtenheft schon fertige Screens drin, manchmal nicht.
Unter einem User Requirements Dokument versteht auch wieder jeder etwas anderes. Usability Fachleute würden darin hauptsächlich die “Enduser” Anforderungen finden wollen, während in der reinen Softwareentwicklung der User hier eher als “Kunde” übersetzt wird. Das macht aber einen ziemlichen Unterschied, vor allem was die Benutzerfreundlichkeit des Endergebnisses betrifft.
Oft fehlt schon bei der Erstellung des Pflichtenhefts ein klarer Prozess, der z.B. dazu führen sollte, dass nicht nur Wunschlisten gesammelt werden, sondern auch Prioritäten festgelegt werden.
Aber das sind eben so Traumvorstellungen. Ich erlebe es ja auch selbst, dass Vorgangsweisen in der Softwareentwicklung überall anders sind.
Gerade war ich in einem Projekt, in dem ein ehemaliger Enduser und ich gemeinsam das Pflichtenheft erstellt haben und wir hatten tatsächlich die Möglichkeit, auch andere Enduser einzubeziehen und mit Prototyp-Screens ganz frühe Usability Tests zu machen. Und weil Usability in dem Projekt groß geschrieben wird, wird der Abnahme-Test ebenfalls Usability Tests beinhalten. Klar, es war nicht alles so optimal, weil eigentlich sollte man ja mit MEHR Usern testen und das möglichst direkt am Arbeitsplatz – aber immerhin – besser als garnichts. Und so ist es ja oft, getreu dem alten Motto “besser wenig Usability als garkeine”. Und wenn man früh im Entwicklungsprozess mit Usability beginnt zählt die Investition ja auch doppelt und dreifach als wenn man zum Schluß noch versucht, Feuerwehr zu spielen.
In einem anderen Projekt wiederum wurde überlegt, wie man im Unternehmen Usability Engineering etablieren und in den vorhandenen Entwicklungsprozeß integrieren kann. Das sehe ich dann eher in den größeren Unternehmen, die sich die Beschäftigung mit Prozessoptimierungen auch leisten können und wo nicht jeder im Tagesgeschäft untergeht. Bleibt dort nur zu hoffen, dass der neue Entwicklungsprozeß nicht als Papiertiger im Schrank verstaubt, sondern auch wirklich gelebt wird.
Beide Projekte waren aber wieder mal ein sehr positiver Hinweis darauf, dass sich Usability Engineering weiter etabliert und tatsächlich passiert.